Ich beschloss am ersten Abend bei meinem Besuch in der Courage Redaktion, dem Layout beizutreten. Darauf folgte eine gute kollegiale Zusammenarbeit, obwohl die aktuelle Aufgabe nicht einfach war und öfters bis in die Nacht ging. Das Einzige, was uns am Laufen gehalten hat, waren Herrenpils Bier, Marlboro Mann Zigaretten und sehr laute Rock Musik von den Dire Straits bis zum morgendlichen Abgabetermin. Wir haben sehr viel gelacht, erzählt, uns gegenseitig inspiriert und unterstützt in unserer kreativen Arbeit!
Eine bessere Lehrstelle hätte sich keine Frau vorstellen können. Und das ist, was ich noch am besten in Erinnerung habe bei der Courage. Jede Frau hatte die Möglichkeit, in allen Bereichen zu arbeiten. Ich habe Produktions Management gelernt, Finanzen, internationale Politik in unserer Internationalen Nachrichten Redaktion, Artikel schreiben und Schwerpunkt Konzeption, Werbung, Graphik und Layout Design, Photographie, Büro Management und vieles mehr.
Es war damals mein Traum Job! Und was ich alles durch die Courage gelernt habe und die Freundschaften, die entstanden sind, sind mir bis heute geblieben. Ich würde auch sagen, die COURAGE Arbeit gab mir die beste Grundlage für meine berufliche Zukunft.
Hier eine Rückblende von Vignetten: Die Berliner Szene . . . damals launisch und kapriziös, die Männer besonders - einerseits “Softy “ und anderseits wollten sie alle Che Guevera sein. Netzwerk usw. . . diese gleiche Szene war auch tätig im „Netzwerk“- Vorstand. Es war unbegreiflich, dass es immer Widerstand gab, sogar von den weiblichen Mitgliedern, den Frauenhaus -Projekten finanzielle Unterstützung zu geben . Jedes Mal musste ich von vorne anfangen, warum Frauen und Kinder - Opfer von Gewalt - einen sicheren Hafen verdienen. Es war eine große Enttäuschung . . . Künstlerische Inspiration . . . Im Layout Zimmer hatten wir wunderbare Kunstbücher. Wir entdeckten Frida Kahlo, Georgia O’Keeffe, Diane Arbus, Judy Chicago. Eine ganz neue Welt erschloss sich mir! Die gemalten Landschaften von O’Keeffe fand ich eindringlich und unvergesslich. Ich dachte, es seien alles Produkte von O’Keeffe’s Phantasie. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass dieses Land existiert und dass ich jemals dort leben würde.
Oktoberdruck a.k.a. Alpdruck . . . unsere monatliche Pilgerfahrt zur Druckerei in Kreuzberg war immer wieder ein angespanntes Ereignis. Manchmal wussten wir nicht, ob wir lachen oder weinen sollten. Der Andruck erfolgte immer zu einer unseligen Stunde. Wir mussten warten in irgendeiner schrecklichen Biker-Bar nebenan. Einmal hat’s zu lange gedauert. Als wir in die Druckerei reinkamen, sahen wir den Drucker in einem Papierhaufen am Schlafen, während die Druckmaschine unsere Zeitschriftseiten wild unkontrolliert durch den Raum warf! . . . Besuch im Büro . . . Unser Büro Milieu war hektisch - ständige Telefonanrufe und Besuche. Außerdem, wenn ich Bürodienst hatte, kam mein Hund Jenny von Westfalen mit. Jenny nahm den Schutz der Büroeingangstür sehr ernst und war eine beeindruckende Wache. Ich muss allen Couragefrauen und Gästen für ihre enorme Geduld und Freundlichkeit gegenüber Jenny danken. . . unter anderem Petra Kelly, Rudi Dutschke, Daniel Cohn-Bendit , den Computer Typen und sämtlichen Schulklassen, um nur einige aus der Vergangenheit zu nennen. . .
Unsere Mitarbeiterin Friederike . . . eine sehr ungewöhnliche, aber äußerst wichtige Mitarbeiterin war die Friederike! Sie war ein Computer. Und zwar eine sehr große Maschine, so groß, dass sie einen ganzen Raum einnahm! Wir waren wahrscheinlich eines der ersten Unternehmen, das einen Computer verwendete, um unsere Abonnementdateien zu speichern und unsere Mailingverteilung vorzubereiten. Ohne Zweifel, wir waren auch technologisch sehr fortschrittlich! Jedefrau wußte, wann die Computer-Typen im Büro zu Besuch waren, weil sie immer so sehr parfümiert waren!
UN Internationale Frauenkonferenz JULI 1980 Kopenhagen . . . Nur fünf bis sechs Stunden entfernt von Berlin, waren fast alle Couragefrauen zur Konferenz gefahren. Die US Staatsrepräsentantin Bella Abzug hat sich geweigert, mir ein Interview zu geben, da ich Gloria Steinem in einem Courage Artikel kritisiert hatte. Zwischen der Israelischen Delegation und der Palästina-Delegation kam es fast zu einer Schlägerei bei einer Veranstaltung. Überall gab es Petitionen zu unterzeichnen. Ich hatte eine von Nord- Irland unterzeichnet und dann kamen prompt einige Monate danach lange Briefe aus einem Gefängnis in die Redaktion, geschrieben auf Klo-Papier. Einige Frauen der Amerikanischen Delegation hielten mich regelmäßig im Flur an und fragten, woher ich meine grünlich-blaue Benetton Latzhose gekauft habe! “That’s so cute!” Betty Friedan sprach in einem Seminar über Wechseljahre und sah einige von uns “jungen” Frauen da sitzen. Sie fragte uns, was wir überhaupt da zu suchen haben. Wir meinten, wir wollten wissen, was alles eigentlich noch vor uns liegt. Die Iranischen Frauen, von Kopf bis Fuß in einen schwarzen Tschador gekleidet, trugen ein riesiges Bild von Khomeini mit sich herum! Bei den Hauptrednerveranstaltungen am Abend standen Imelda Marcos und Leila Khaled auf dem gleichen Programm.
TIERGARTEN RADFAHRT . . . Fahrrad fahren war und ist immer noch mein Happy Place! Von Frühling bis zum Herbst fuhr ich jeden Morgen mit meinem Hund Jenny auf Trab die Potsdamerstraße hoch zur Nationalgalerie von Mies Van der Rohe, die Mauer entlang und dann direkt in den Tiergarten. Es war immer ein guter Anfang für den Tag vor der Arbeit, eine Atempause vom Lärm und Hektik der Stadt. Die Rückfahrt nach einen langen Tag in der Redaktion, kurz vor Sonnenuntergang war ebenfalls ein meditatives Erlebnis.
BUCHMESSE. . Die Frankfurter Buchmesse war ein jährliches Ereignis! Der Aufbau unseres Standes war immer lästig, ganz zu schweigen vom Schleppen der ganzen Zeitschriften und Bücher. Nichtsdestotrotz war es auch das Social Event des Jahres. Wir wurden jedes Mal von Freundinnen empfangen, die in einer sehr großen Wohngemeinschaft in der Nähe von der Messehalle wohnten. Die Woche ging immer schnell vorbei und am letzten Abend wurde immer gefeiert. An diesem Abend war ich die letzte in der Halle, weil ich für’s Aufräumen verantwortlich war. Als ich schon im Treppenhaus war, hörte ich Musik spielen- Louis Prima’ s “Buona sera Signorina, Bona sera”! Lachen, fröhliche Stimmen und klirrende Gläser hinter der Wohnzimmertür. Als ich die Tür öffnete, sah ich ein Bild, dass ich nie vergessen werde. Ein Tisch schön gedeckt, beladen mit delikaten Speisen! Einige Frauen tanzen “Twist”. Eine wunderschöne lange Biedermeier-Couch stand mitten im Raum, darauf Sekttrinkende Frauen. Und zur Krönung der Szene, hinter der Couch an der Wand, ein riesiges Poster- das Bild von einem lächelnden Che Guevara mit Zigarre in der Hand!
DIE MAUER . . . Ich bin nie darüber hinweggekommen, dass wir uns damals vor der Wende in West-Berlin auf einer Insel im Meer der DDR befanden. Unter diesen Bedingungen und den anderen sozioökonomischen und politischen Beschränkungen der damaligen Zeit, - dass wir überhaupt in der Lage waren, eine monatlich erscheinende 60-seitige Zeitschrift zu produzieren und diese dann noch bundesweit und im deutschsprachigen Raum zu verteilen, ist nichts weniger als ein Wunder gewesen!
Es kam bei mir zu eine heftigen Burnout nach fünf Jahren Courage. Ich fühlte mich festgefahren. Einsamkeit. Heimweh. Was machte ich denn überhaupt noch hier in Berlin? Was tun? Ich war an einem Scheideweg.
Ein Abend im Sommer, nach einem festlichen Essen bei Freunden, hatte ich etwas zu viel Wein getrunken. Nach Mitternacht, mit flatterndem Abendkleid bin ich auf meinem Fahrrad den ganzen Kudamm mitten auf der Straße von Charlottenburg bis zur meiner Wohnung in der Kurfürstenstraße geradelt! Das war ein tolles Erlebnis von Freiheit irgendwie. Ich fühlte mich unbesiegbar! Nichts gewagt, nichts gewonnen!
Ich habe dann entschieden, dass der wichtigste Weg nach vorne darin besteht, das zu beenden, was ich begonnen hatte - was mich überhaupt nach Berlin gebracht hat. Ich musste mein Magisterstudium endlich abschließen. Komme was wolle! Meine Wohnung aufgelöst, in einer WG in der Konstanzerstraße eingezogen mit Hund und das Studentenleben wieder angefangen.
Die Arbeit geschrieben und verewigt als Exemplar in der Bibliothek der Technischen Universität, die Prüfung überstanden, dennoch war ich immer noch nicht ganz fertig mit Berlin! Nach einigen Jahren, in denen ich in verschiedenen Bereichen für den Sender Freies Berlin tätig war, kam ich zu dem Punkt, allmählich “Bye, Bye Berlin” zu sagen.
Heute sitze ich in meinem Atelier und schreibe. Draußen sind unsere Obstbäume in Blüte. Es ist Frühling. Wir wohnen in einem historischen Viertel in der Innenstadt von Santa Fe, New Mexico. Seit Jahren leben wir jetzt im “Land of Enchantment”- Der Wilde Westen wie in einem Karl May Roman beschrieben.
Es war ein großes Risiko für mich, in die USA zurückzukehren, mit Nichts wieder von vorne anzufangen. Nach fast 13 turbulenten Jahren hinter der Mauer hatte ich von Berlin Abschied genommen, um wieder in meine Heimat in Michigan zurückzukehren. Zurück nach Ann Arbor via Flint in meiner geliebten Uni Stadt zu sein. Dass mir das schwer fiel, ist eine Untertreibung. Aber ohne meine Familie und alte Schulfreunde/innen und wirklich guten Kollegen/innen (viele davon haben einen Auftritt im Michael Moore Film “Roger and Me” gehabt), die mich all unterstützt und viel Mut gegeben haben, hätte ich persönlich wie auch beruflich wieder Fuß zu fassen nie geschafft.
Es folgten Tätigkeiten als freiberufliche Journalistin, Redakteurin, und PR + Marketing-Managerin im öffentlich-rechtlichen Bereich.
Durch meine Arbeit an der Universität Michigan, habe ich einen Professor der Archäologie/ Anthropologie, der auch in Deutschland studiert hat, kennengelernt und geheiratet - jetzt sind wir fast 30 Jahre glücklich zusammen!
Amerikanische Universitäten, besonders große Forschungs-Unis wie Michigan, haben eine sehr umfangreiche bürokratische Verwaltung. Während meiner Zeit an der Universität Michigan leitete ich verschiedene PR-/Kommunikations- und Marketingabteilungen u.a. im International Institute und beim Taubmann College for Architecture and Urban Planning.
Darüber hinaus war ich später in der Zentralverwaltung im Präsidentenbereich tätig und verantwortlich für die Kommunikation und die Herausgabe von Zeitschriften für High-End-Donors und Unterstützer.
Meine letzte Publikation war ein Sonderheft über “Frauen und Philanthropie” an der Universität Michigan” - 60 Seiten und über 50.000 Auflage! Es gibt mehr als 640.000 lebende Alumni/ae der Universität Michigan in 180 Ländern auf der ganzen Welt.
Rückblickend war es seit meinen Berlin Tagen ein unglaublicher Lauf – wie ein Flug auf einem fliegenden Teppich! Durch die Arbeit meines Mannes hatte ich auch die Gelegenheit, Orte rund um den Globus zu sehen und Menschen kennenzulernen, an die ich nie gedacht hätte! Und dass ich nach der Wende 1995-96 überhaupt wieder nach Berlin mit meinem Mann für ein ganzes Jahr zurückkam!
Darüber hinaus, seit ich in Santa Fe bin, habe ich ein neues Abenteuer begonnen. Ich habe mich auf die Kunst als Schmuckdesignerin (Gemmologin und Goldschmiedin) konzentriert. Zur Zeit bin ich auch Vorstands-Präsidentin von unserem Künstler/innen Kollektiv hier in Santa Fe.
Mir ist ganz klar, dass meine Zeit bei der COURAGE und in Berlin eine lebensverändernde Erfahrung war. Es waren meine Lehrjahre – persönlich und beruflich. Dafür einen ganz herzlichen Dank an Euch alle!
Mehr über mich und meine Arbeit jetzt: www.bhwydesigns.com und www.sfestudioart.com
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