Die Sonne scheint
Damals - noch vor dem Ende der COURAGE. Meiner damaligen Mitbewohnerin (mit Teenager) und mir (mit zwei kleinen Kindern) war die Wohnung gekündigt worden, wegen Eigenbedarfs. Unser Vermieter war der Hauptmieter der Wohnung, eine Klage aussichtslos…
An warmen Sommerabenden flogen Fledermäuse über den Teich am U-Bahnhof, nicht weit von unserer Wohnung. Gegen Husten gab es feuchte Luft in einem Zelt zwischen Stühlen und „Thymasal“-Tee (Thymian und Salbei, etwas Marmelade). Im Winter befeuerte ich den schadhaften, doch geliebten Kachelofen sowie einen laut donnernden, rot glühenden, immer nur kurz heizenden, stinkenden Öl-Ofen – und richtig warm wurde es nie.
Im Frauenzentrum in der Stresemannstraße hatte ich das Wichtigste liegen lassen. Noch am selben Abend klingelte es. Eine Unbekannte hatte meine Adresse erfragt und brachte die Trostwindel für meinen kleinen Sohn.
Ein anderer Tag. Wieder klingelte es spät. Als letztes Mittel gegen die Müdigkeit hatte ich mich für die restliche Tagesarbeit geschminkt. Ein buddhistischer Mönch überreichte mir einen Brief für die Ost-Berliner „Frauen für den Frieden“ an der Tür. Zurück am Schreibtisch, erschien mein mit roten und schwarzen Dreiecken bemaltes Gesicht im Fenster.
Einmal hatte ich für die Dauer eines Elternabends eine Babysitterin – und ein Rätsel. Sie verlor in der Wohnung einen roten Pumps, der, so viel wir auch suchten, nie aufzufinden war.
Spaziergänge mit den Kindern waren meist kleine Verlängerungen alltäglicher Wege. So gingen wir eines Tages über einen Friedhof. Ein toller Ort für ein Kind, das mit der Lust des bereits selbst Lesenden ein Meer von Namen und Daten vorfindet. Ein altes Grab leuchtete grün in der Nachmittagssonne und zog uns an – der Stein bemoost, die Buchstaben erkennbar: der – häufig vorkommende – Familienname unseres Vermieters.
Wieder Winter. Ich setzte vorsichtig Fuß vor Fuß. Vor mir eine Alte mit einer anderen Alten (ich sah mich noch als jung). Alle drei tapsten wir auf dem mit Asche bestreuten Trampelpfad im Schnee voran, die Glätte meidend. An der Ecke bogen wir in die große Straße ab, wo der begehbare Weg breiter war. Die beiden gingen nun nebeneinander, ich überholte. „Weißt du“, hörte ich meine Vorgängerinnen den Gesprächsfaden wieder aufnehmen, „wo ich es immer warm habe?“ - „?“ - „Im Baaad!“
Gestatten, – M.
Es dauerte anderthalb, sehr lange Jahre, bis wir eine Wohnung fanden. Wir fanden sie, mit meiner damaligen Mitbewohnerin und ihrer Tochter, in Kreuzberg. In einem Haus, das – wie viele zu der Zeit – für den Abriss vorgesehen und dafür entmietet worden war. In Erwartung der Abrissgenehmigung war es dem Leer-Stand und dem zu erwartendem Verfall überlassen worden. Das war der Moment, in dem Hausbesetzer, Teil der Protestbewegung gegen eine zerstörerische Stadterneuerung, aktiv werden konnten und ein Haus „instand-besetzten“. So auch dieses. Es wurde dadurch vor dem Abriss bewahrt und schließlich wieder “legalisiert“. Meine Mitbewohnerin kannte jemand im Haus, wir hatten Glück – und eine Wohnung.
In unserer alten Bleibe hatten wir auf Verlangen des Vermieters „alles“ räumen, ggf. abbauen sollen. Eine etwas unvorsichtige Formulierung. Wir bauten wirklich alles ab.
Den Umzug, den wir uns kaum hätten leisten können, konnten wir plötzlich – und im richtigen Moment – bezahlen. Vom Geld eines Beleidigers! Meine Anwältin, Anne Klein, hatte mir, als sich herausstellte, dass der Beleidiger Rechtsanwalt war, gegen ihre eigene Überzeugung einen Vergleich empfohlen. Sie kannte meine Einkommensverhältnisse und die Risiken, die ein Prozess für mich, allerdings auch für den Täter, bedeutet hätte. Der Ort der Beleidigung und Nötigung: der hintere Raum einer Kneipe, durch eine breite, offen stehende Glastür vom Tresen-Raum getrennt. Ein Rückzugsort zum Schreiben. So hatte ich gedacht.
Nach dem Vorfall wollte ich die Wirtschaft schnell, aber gefasst verlassen, setzte ein freundliches Gesicht auf und fragte den einzigen Gast am Tresen, den Beleidiger, nach seinem „werten Namen“. Die Situation völlig verkennend, antwortete er, ebenfalls freundlich, „gestatten, – M.“ Zu Hause blätterte ich im amtlichen Telefonbuch, neben mir den aufgeschlagenen Stadtplan. Ärgerlicherweise gab es den Namen in gut halbdutzend Schreibweisen, seitenlang. Doch nachdem ich die Suche auf den Umkreis der Kneipe beschränkt hatte, blieben nur zwei Einträge übrig… Ich brachte noch in derselben Nacht alles minutiös zu Papier, zumal ich nichts sonst gegen den Typen in der Hand hatte (die Wirtsleute waren, wie ich beobachtet hatte, Herrn M. freundlich zugetan).
Immerhin, das Protokoll hatte ich. Und am Ende – nachdem die Sache erst „wegen Geringfügigkeit“ vorläufig eingestellt worden war, ich mich dann selbst auf die Suche nach Herrn M. gemacht und ihn eines Tages, natürlich am Tresen der Kneipe, entdeckt und zur Feststellung der Identität die Polizei gerufen hatte – am Ende also hatte ich, noch eh die neue Wohnung für mich, meine Mitbewohnerin und unsere drei Kinder gefunden war, das Geld für den Umzug.
Haus- und Lohnarbeit – und ein Wecker
Die Balance von Lohn- und Hausarbeit, von Kinderversorgung zu Hause und Elterndiensten in zwei Kinderläden (in zwei Bezirken) war schwierig geworden. Ein Tag ging zu Ende. Wie so oft, war etwas noch nicht fertig – und ich furchtbar müde. In der Hoffnung, es möge noch keine Zwei sein, schaute ich auf den Wecker – – Zwei Uhr!
Es wurde Morgen. Ich machte Müsli für die Kinder und mich. Vor dem Losgehen musste ich noch im Telefonbuch nachschlagen. Ein Fenster war kaputt, der Glaser musste kommen.
Der Glaser kam, er ließ sich das Fenster zeigen. Überrascht stellte er fest, das Loch im Glas sei perfekt rund, „wie von einem Schuss“. Unsere typischen Altbau-Fenster bestehen aus je zwei Fenstereinheiten, die, auf allen Seiten durch hölzerne Wände verbunden, aufrechte Kästen bilden. Da im geschlossenen Zustand des Kastenfensters zwei Scheiben aufeinander folgen, gab es auch zwei Löcher. Das zweite war, nachdem die erste Scheibe das Wurfgeschoss gebremst hatte, nicht mehr so rund, es hatte Zacken und war umgeben von Sprüngen. Der Glaser sah mich fragend an. „Das war mein Wecker.“
„Meine liebe schöne Courage!“
Nach dem Ende der COURAGE trat meine existenzielle Ungewissheit offen zutage, ich hatte keinen Beruf erlernt, ein Studium begonnen, aber nicht abgeschlossen, gejobbt, oft mehrere Jobs gleichzeitig, winzig verdient, zu viele Wege, nichts passte. Rückblickend waren meine COURAGE-Jahre nicht nur Arbeit und Lernen (gar eine Art Lehre), sondern auch eine Ausnahme hinsichtlich Dauer und Sicherheit. Meine Kinder konnte ich, wenn sie kränkelten oder sonst sehr bedürftig waren, zur Arbeit mitnehmen. Dann durften sie sich neben meinem Schreibtisch beschäftigen. Sie verstanden es aber auch, ab und zu anderswo aufzukreuzen, ohne sich die Sympathien der Kolleginnen zu verscherzen.
„Meine liebe schöne COURAGE!!“ Das war die Klage ihres engagiertesten Nichtlesers, meines kleinen Sohnes. Kaum eine unserer Leserinnen wird so bitter um sie geweint haben wie mein Vierjähriger, als er mich – mein älterer Sohn war gerade eingeschult worden – am Ende jener Sommerferien erwartungsvoll fragte.
"Wann gehen wir denn mal wieder in die COURAGE?" –
"Wir können nicht mehr dort hin." –
"Aber warum nicht?" –
"Die COURAGE gibt es nicht mehr!"
Hätte ich meine Worte nicht etwas sorgfältiger wählen können?!
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