Also fertig mit dem Studium, tätig im Institut der Altgermanistik, befasst mit mittelhochdeutschen, sehr geliebten Texten, Gottfried von Straßburg!, Walther von der Vogelweide!, ein totenstilles Auditorium Maximum, das dem Professor bei den Tristan-Versen folgte - viele Stunden täglich Bibliothek, vereinzeltes Lernen und dann angestrengtes Unterrichten, da saßen die Studentinnen
schon auf dem Boden, strickten, rauchten, sowieso.
Und daneben die Mittwoche! Am Mittwoch die Volkshochschulveranstaltung gemeinsam mit Gesine Strempel im Arbeiterbezirk Neukölln, unser Kursus zur „Lage der Frau“. Abtreibungsparagraph, die historische Frauenbewegung, die Scheidungsgesetze, Verhütungsmittel, - macht Euch schlau, lasst
Euch nicht einschüchtern. Und irgendwann die Klarheit, das Mittelalter mit Wehmut zu verlassen für eben dieses, sich schlau machen, sich nicht mehr einschüchtern lassen, die Realität der Frauen verstehen müssen mit deren
vielen vielen Defiziten, die beklemmend waren. Je genauer ich kennen lernte, wo die Benachteiligungen von Frauen überall mit Händen zu greifen waren, umso mehr brauchte das Entsetzen und die Trauer darüber auch ihr Gegengewicht in der Gemeinschaft der anderen feministischen Entdeckerinnen. Die Wärme der gegenseitigen Akzeptanz, der Neugierde
aufeinander, der Ermutigung und einer Euphorie, die uns Kräfte brachte und visionäre Flügel wachsen ließ.
Eine dieser Visionen war die COURAGE. Aus heutiger Sicht ein Wunder, eine Unmöglichkeit. So wenig Geld, so wenig Kenntnis von wirtschaftlicher Planung und Marktanalyse. Aber dafür sehr viel Glück.
Die Mitfrau aus dem Frauenzentrum, die ein Haus besitzt in Berlins bester Lage und uns eine. Hinterhofwohnung überlässt als Investition in die Frauenbewegung. Keine weiß, ob es klappen kann. Die übergroße Bereitschaft so vieler Frauen, mitzumachen bei dieser Vision, einem Medium für die
Frauenbewegung, ein Forum, eine Plattform und damit ein gemeinsames Arbeitsprojekt, das für alle Formen der Tätigkeiten, der Talente, der Beteiligung offen sein wollte. Meine Vision: ein SPIEGEL für die Welt der Frauen, für die Politik der Frauen, für die Kultur der Frauen.
DER SPIEGEL wurden wir nicht. Aber wir wurden mit unserer Zeitschrift ein wunderbares Experimentierfeld in vielen Dimensionen. Ein frauenpolitisches, ein journalistisches, ein soziales. Diese Ebenen hielten wir nicht getrennt, wir waren uns ihrer wahrscheinlich nicht einmal bewusst,
sondern die einzelnen Ebenen durchdrangen sich, beförderten und hemmten sich, je nach Idee und Entscheidungsweg und Gruppenatmosphäre. Wir wollten keine Macht und keine Unterwerfung, wir wollten möglichst keine Hierarchie. Ich persönlich wollte, dass jede Frau ihre Fähigkeiten und Talente
entwickeln darf, die Ermutigung fühlt und aktiv wird. Dass Aktivität und Identifikation begrenzt sein. konnten und durften, fiel mir schwer. Meine Vision beinhaltete auch eine Unbedingtheit, die mir entsprach und die ich bei allen anderen voraussetzte.
Jede kann, wenn sie will.
Ein solcher ermutigender, aber auch manches Mal unbarmherzig fordernder Blick auf die COURAGE-Frauen war auch überfordernd, wurde vielleicht als autoritativ empfunden – es war in meinem Erleben ein Teilen der Kraft, eine weniger erotische denn schwesterliche Liebeserklärung.
Erinnerungsstücke:
Der Layout-Raum, der letzte Raum der hinteren Wohnung, unser Draufschauen auf die in Reihenfolge angepinnten Entwürfe unserer 68 Seiten. Jedes Mal ein Stolz, ein Gewahrwerden, was wir hier eigentlich machen, ja, diese Texte werden in die Welt gehen, sie haben schöne, oft lang diskutierte Überschriften und (immer zu wenige) Fotostrecken. Vielleicht noch ein letztes aktuelles
Auswechseln eines Textes; aber im Prinzip stand das Heft, es war gemacht. Kurze Pause, Durchatmen, kleiner Triumph.
Das Kinderkriegen, das eher tabuisierte zwischen uns aktiven, meist (noch) kinderlosen COURAGE-Frauen. Eine sagt, sie sei schwanger und ich gehe selbstverständlich davon aus, dass sie das Baby nicht bekommen möchte. So viel politischer Kampf um den 218, die Betonung der Selbstbestimmung
über den eigenen Körper, mit der meist die Abtreibung umschrieben wurde. Und die Couragekollegin sagt, nein, sie freue sich auf das Kind, sie werde es bekommen. Und meine Scham über die unsensible Frage, weil ich Kinderkriegen eigentlich etwas Herrliches und Wunderbares finde und sie
um ihre Entscheidung beneide. Wir rauchen. Nicht alle, aber fast alle. Den ganzen Tag. Bei allen Sitzungen, am Schreibtisch, beim Telefonieren. Das ist ganz selbstverständlich und wenn ich in mein Auto steige, ein weißer 2CV mit
roten Bezügen, - Polster zu sagen, wäre übertrieben, - wenn ich in mein Auto steige, muss die Zigarette angezündet sein, bevor ich den Zündschlüssel drehe. Mit den Jahren weht die Öko- Bewegung auch in unsere Redaktionsräume. Eine Kollegin, deren Studienbereich dies Thema umfasst und die auch danach lebt, ist dieses Mal dran, unser monatliches sonntägliches Treffen der COURAGE-Frauen in ihrer Wohnung auszurichten. Sie macht es gern, aber sie stellt die Bedingung, dass in ihrer Wohnung nicht geraucht werde. Es schlägt ihr verdutztes Verstummen, Unverständnis allemal, Erstaunen über eine solche Forderung entgegen. Das Treffen kam nicht zustande.
Barbara kommt aus Paris, das sichert ihr, zumindest von meiner Seite, Bewunderung und Neugierde. Sie berichtet von der französischen Frauenbewegung und erzählt von einem Buch, das dort Furore mache und Missbrauch von Mädchen zum Thema habe. Sie wird Teile davon übersetzen für unser Heft. Ich höre zum ersten Mal in solcher Detailliertheit davon und bin durcheinander und erschüttert. Wir werden in den nächsten Jahren im Heft noch häufig darüber berichten. Wir werden in Debatten von Frauenzentrums-Schwestern erfahren, die Missbrauchserfahrungen haben und sich nun
offenbaren.
Mein erster langer Film, den ich für den WDR Jahre später machen werde, wird diese Thematik haben und u.a. die dann gegründete Selbsthilfegruppe vorstellen. Das Auftreten dieses Themas ist ein Beispiel für die Arbeit und den Erfolg der COURAGE.
Wir waren oft das erste Medium,
das über neue, unbequeme, vielleicht sogar quälende Themen berichtete, erste Widerstandsgruppen kontaktierte und Öffentlichkeit herstellte. Wir selber aber lernten auch eben davon, erfuhren oft erschrocken und bislang unwissend von schrecklichen Zuständen, wie den Mitgiftmorden an den indischen Frauen, den Beschneidungsriten bei den Afrikanischen Frauen, aber auch den Erfahrungsberichten von Frauen nach Abtreibungen. Daneben aber auch der Schwung der sich konstituierenden Frauenbewegung mit ihren Konferenzen, Büchern, Besetzungen, Widerstandsinitiativen. Später kamen Frauengruppen von sich aus auf uns zu, wir wurden zur Anlaufstelle, von der die Frauen sich erhoffen konnten, dass wir solidarisch über sie schrieben bzw. ihre Texte veröffentlichten. Ausnahmen gab es auch da, wie immer, es gab Texte, die wir ablehnten, unerheblich fanden, deren Verfasserinnen uns nicht „passten“ und was es sonst noch für offene oder verdeckte Ablehnungsgründe geben konnte. Überraschung: wir waren keine Heiligen.
Geld:
jeden Monat mit Ungeduld erwartet der Scheck, so zahlte man damals, der Scheck des Vertriebs für die verkauften Hefte. Am Anfang plus-minus 20.000,- Mark. Wenn der Scheck da war, wurde er am selben Tag auf unsere Bank getragen, immer mit dem Gedanken, kennt jemand den Inhalt meiner Tasche? Um dann am nächsten Morgen die Druckerei und den Papierlieferanten damit zu bezahlen. Unsere Finanzen waren sehr selten ein gemeinsames Thema. Die Motivation für unsere Anwesenheit waren die Inhalte, die wichtigen Frauenkonferenzen, die neuen Bücher, der letzte Scheiß-Aufsatz eines SPIEGEL-Journalisten, die Frauen in Nicaragua, ein Lesbenfilm auf der Berlinale. Dass wir uns überhaupt Löhne zahlen konnten, erscheint mir im Nachhinein wie ein Wunder. Aber wir haben mit unserem um Gerechtigkeit bemühten Modell, das Kinder und feste Kosten berücksichtigte, ein Projekt ermöglicht, das uns immerhin, wenn auch sehr bescheiden, 8 Jahre lang
möglich war. Bei der Verwaltung unserer Finanzen hätte es auch etwas zu lernen gegeben, was Weisungsberechtigung, Gehorsam und hinsichtlich unserer professionellen Verwaltung eine notwendige Hierarchie betraf. Wir nahmen schlampige oder nicht erledigte Kontenführung zur Kenntnis und tauschten seufzend Blicke über die Kollegin, die es wieder mal „nicht geschafft“ hatte.
Ein Kommunikationsmodell dafür, eine Frau auch einfach mal rauszuschmeißen, hatten wir nicht. Und als dann am Schluss die Schulden größer wurden und uns das Wasser bis zum Hals stand und der Konkurs bevor, wurden die Themen egal und das Geld wurde der Angstauslöser, der uns zum Teil bis heute tödlich verfeindete. Die reale Existenz griff nach jeder vor uns, einige hatten Perspektiven oder konnten auf ihren erlernten Ursprungsberuf zurückgreifen, einige packte die blanke Angst. Wir sind dann rein rechnerisch milde aus dem Konkurs herausgekommen, aber die Trennungen wurden
ziemlich endgültig, die große Enttäuschung voneinander, die eigentlich auch viele Züge der Trauer enthielt, dass unsere schöne leidenschaftliche gemeinsame Arbeit sich nicht mehr fortsetzen sollte.
Die RAF
Die RAF war ein frühes und kompliziertes Thema für uns. Viele von uns hatten große Sympathien für diese widerständigen Kritiker*innen der alten Bundesrepublik, zu Ulrike Meinhof an allererster Stelle.
Und dann die Selbstmorde, die aufgeregte Debatte um den Wüstensand in Baaders Schuhen und die ganzen Ungereimtheiten. Hatten sie sich umgebracht, waren sie getötet worden? Müssten wir als linke Feministinnen einstimmen in den Chor der Ankläger, der Mordtheoretiker*innen? Wir fühlten
mit Gudrun Ensslin und ihrem Pfarrersvater und fanden ihre Emanzipation aus dem schwäbischen Spiritismus mutig und nachvollziehbar, wir bewunderten Ulrike Meinhof als Kolumnistin und mutige Schreiberin, aber natürlich war unsere Courage-Frauenmischung auch in diesen Ansichten gemischt und unterschiedlich empört. „Der Tod an Ulrike“ hieß schließlich eine der Überschriften, die wir auch druckten. Einen auf illegalem Wege beschafften Gefängnistext aus Stammheim ließen wir letztlich ungedruckt, weil wir nicht konfisziert werden wollten und damit – bei unserer knappen geldlichen Decke – selbst eine schnelle Pleite herbeigeführt hätten. Die unausgesprochenen Kontakte, wer wusste was von wem? Wer hatte wen auf dem Balkon getroffen? Wie war die Verbindung ins Ausland? - auch in diesen Debatten gab es eine Hierarchie. Wer ein Geheimnis hatte, hatte ein Prä.
Wer jemanden kannte, der jemanden kannte, war irgendwie Königin. Was für eine Zeit. Die Jahre der RAF waren einschüchternd und polarisierend. Erst heute, nach einigen Jahrzehnten und vor allem nach dem Fall der Mauer beginnt sich langsam eine andere Einschätzung zu entwickeln und auch ein
kritischer Blick ist angebracht. Unsere Position der COURAGE als linke Zeitung jedenfalls wurde auch durch die RAF-Texte gefestigt. Keine Zeitung dieser Jahre, die etwas auf sich hielt und die eine Transformation der Gesellschaft wollte, wäre damals an diesen Personen und dem unglaublichen Echo ihrer Taten vorbeigekommen. Dass ich später eine Dokumentation über die Familien der Opfer und der Täter der RAF machte, ist aus dieser damaligen Auseinandersetzung entstanden.
Queer, cis, divers
Wir waren kein Lesbenprojekt. Unsere Gruppe bestand meist so halb und halb aus lesbischen und heterosexuellen Frauen. Heute würden wir diese Zuschreibungen vielleicht mit queer und cis benennen und das divers auch einräumen wollen. Es war für damalige Zeiten aber ein hoher Anteil
und wir haben die Lesben in unserer Gruppe nicht unbedingt öffentlich benannt. Es gab damals in Berlin zwar schon das Lesbische Aktionszentrum LAZ, aber wir folgerichtig fielen in deren Wahrnehmung unter die „gemischten“ Projekte. Sibylle Plogstedt und ich waren das einzige Frauenpaar, das gemeinsam in der Courage arbeitete und auch zu ihren Gründerinnen gehört hatte. Unsere gemeinsame Arbeit summierte sich nicht nur, sie potenzierte sich und macht uns ziemlich unangreifbar innerhalb der gesamten Gruppe. Wir besprachen vor und nach, wir stützten uns bei Ideen und gaben uns Halt bei Bedenken, wir konnten beide gut reden und unseren Platz temperamentvoll, wenn auch auf unterschiedliche Weise, behaupten. Das hat uns Bewunderung und Kritik eingetragen, natürlich, es hat der COURAGE aber auch ein personelle Konstanz verliehen und sie gestärkt. So eine Entwicklung ist schicksalhaft und es gab für uns keinen Grund, die Zweisamkeit zugunsten einer besseren Gruppendynamik aufzugeben. Sie hat sie vielleicht eher noch aufrechterhalten. Unsere Beziehung zerbrach nach dem Ende der COURAGE und wir konnten eigene Wege gehen. Ich denke aber im Rückblick, dass die Einflussnahme auf Themen und Entscheidungen durch sehr viele verschiedene COURAGE-Frauen entstand, durch riesigen Einsatz und vorhandene Begabungen. Diese Zeitung bot ja jeden Monat eine neue Möglichkeit, journalistisch zu reagieren,
Wir konnten kurzfristig informieren und haben zu wichtigen Kongressen und Protesten der Frauenbewegung beitragen können, zum Teil verlängerte sich ja unserer Tätigkeit auch in die Organisation eigener Kongresse hinein, zur Atomkraft zum Beispiel…Das zeigt, dass zumindest einige von uns sich nicht nur als Multiplikatorinnen, sondern auch als Aktivistinnen der Frauenbewegung
verstanden. Neben der aktuellen Frauenpolitik kamen aber auch Themen ans Licht, die aus den jahrelangen Studien einiger COURAGE-Frauen entstehen konnten, die Geschichte der Frauenmedizin durch Barbara Duden, die Geschichte der alten Frauenbewegung durch Irene Stoehr und Ele
Schöfthaler. Wenn ich diese Hefte heute in die Hand nehme, sehe ich ein ungeheures Verdienst der COURAGE. Wir machten Sonderhefte über Brüste, über Märchen, über die Menstruation, über unsere Mütter. Die Plakate, die wir auf den Berliner U-Bahnhöfen kleben ließen, wurden beim Thema
„Menstruation“ nicht angenommen. Die Malerin Sarah Schumann hatte ein weibliches Geschlecht abgebildet, eigentlich bis heute ein Tabu (ein männliches sowieso…). Welche sexuellen Präferenzen wir jeweils lebten war dabei in der täglichen Arbeit nicht wirklich wichtig. Einige thematisierten es, einige waren vielleicht auch auf einer Suche, - gedrängt wurde keine, weder in die eine noch in die andere Richtung. Diese Liberalität stand im Gegensatz zur gerade in Berlin eher harschen Frauenbewegung, die die Eindeutigkeit liebte und verlangte. Es war interessant, wie wenig wir jeweils von der Anderen und deren persönlicher Geschichte wussten. Vielleicht wurde mal eine häusliche Situation als Anekdote erzählt, ein Ort genannt, aber im
Großen und Ganzen kannten wir uns nicht gut. Wie der soziale Hintergrund war, welche Vermögens- oder Armutsverhältnisse, welche persönlichen Krisen und Ängste – all dies blieb für eine Gruppe, die das Motto der Frauenbewegung, das Persönliche sei politisch, ja auch auf ihre Fahnen geschrieben hatte, seltsam sprachlos. Erst im Nachhinein fiel mir auf, dass ältere Frauen, die uns ihre punktuelle Mitarbeit etwa durch das Schreiben von Buchkritiken, anboten, meist in sehr gesettelten Ehe-Verhältnissen zuhause waren. Für sie war dieses forsche Duzen, die jungen Frauen in Jeans, oft ohne BH, rauchend, nicht auf Benimmregeln achtend, sicherlich ungewohnt, gleichzeitig aber auch
faszinierend. Wir, die wir voll in der COURAGE arbeiteten, kannten meist weder die Wohnungen der anderen voneinander, noch deren Werdegang, leider auch selten die Sorgen und privaten Freuden.
Gemeinsamkeit mit Distanz
Es war in der Frauenbewegung üblich, die Gemeinsamkeit zu betonen, das, was uns gleich macht, nicht, was uns sozial trennen könnte. Vermögen wurden geheim gehalten, einfache soziale Herkunft ebenso, aber eben z.B. auch die Erkrankung an Bulimie, an Magersucht, wie sie eine unserer Frauen
sehr viel später dann von sich berichtete. Dieses Nichtwissen mag letztlich zu einer gewissen Distanz geführt haben, es war aber auch ein vielleicht sogar notwendiger Schutz, um eine Nähe im gemeinsamen Arbeiten möglich zu machen. Wir beobachteten einander, häufig vielleicht auch mit Konsternierung, aber der Wunsch, es miteinander zu schaffen, lag darüber und baute konstruktive Brücken. Als Karin Petersen zu einer anerkannten Schriftstellerin aufstieg, aus unseren Reihen!, berichtete sie nur mit Stocken über das Honorar des Verlages, das uns damals riesig vorkam. Und ihre familiäre Geschichte erfuhren wir aus ihren Büchern. Häufiger vertrauten wir persönliche
Hintergrundgeschichten eher einem dann ja aber zigtausendfach gedruckten Text an, als sie direkt zu erzählen. Es blieb eine Scheu, und vielleicht ist das normal und richtig. Mir bedeutete die COURAGE immer auch ein Zuhause, ein geschwisterliches Nest, in dem ich mich richtig fühlte, in meiner Kraft und aufgefordert, meine Ideen zu realisieren. Und ich weiß nicht, wie vielen der
anderen Frauen es ebenso ging, ob es Situationen gab, an die sie sich eher mit Bitternis erinnern, sich gestoppt fühlten oder nicht wahrgenommen. Sicherlich gab es das und ist wohl in einer Gruppe auch kaum zu vermeiden. Gemeinsam jedenfalls war uns, mit ganz wenigen Ausnahmen, eine Leidenschaft, die die individuelle Vergangenheit von uns nicht brauchte, sondern aus der
frauenpolitischen Dynamik des Augenblicks entstand. Die forderte uns und forderte uns heraus und darin fanden wir uns wechselseitig wieder. Welche Arbeit auch immer sich jede von uns gewählt hatte.
Unvergesslich für mich die monatlichen Verpackungsorgien für die Abonnementshefte, wir alle um den langen Tisch, und wie sich mit den Jahren ein immer klareres arbeitsteiliges Modell herausbildete, unser „Taylorismus“, damit am Abend die Kästen nach Postleitzahlen geordnet, Listen ausgefüllt, in letzter Minute in das Postamt an der Mauer geliefert werden konnten. Die Post gibt es nicht mehr. Es ist die Straße, an der der Gropiusbau und die Topographie des Terrors zu finden sind.
Jedes Mal, wenn ich dort bin, erinnere ich mich an die Eile und Aufgeregtheit dieser abendlichen Abgaben, hatten sie was zu meckern?, fehlte etwas?, hatten wir etwas versäumt, was die pünktliche Abgabe verhindern könnte? Diese Packtage, das Erzählen, das Stöhnen, das Lachen miteinander, das Kennenlernen im gemeinsamen Tun.
Die Bleibtreustrasse war mir ein Zuhause. Wenn ich heute dort bin, scheint es mir immer noch, als kennte ich jeden Stein. Das ist sträflich falsch, die alte, etwas schmuddelige Kneipe „Zillemarkt“ nebenan ist weg, abgeräumt, der Nachkriegscharme der halben Außenwand wird wohl verschwinden. Soll er. Der Krieg ist über 70 Jahre vorbei. Die Läden haben gewechselt, das Ehepaar
mit dem prügelnden Ehemann, das damals uns gegenüber wohnte und bei dem wir für die Frau die Polizei riefen, die sie nicht haben wollte – ist sicherlich nicht mehr da. Das Kino war zwischendurch weg und ist jetzt schick und neu wieder da. In der Niebuhrstrasse hat meine Lebensgefährtin drei
Stolpersteine für ihre Verwandten legen lassen, und mein geliebtes Modegeschäft, in dem ich manchmal in der Mittagspause ganz eilig etwas erstanden habe, ist auch nicht mehr da. Aber das Gefühl. Die COURAGE-Zeit war ein Experimentierfeld, ein Angebot zum Lernen und zu Kreativität, in
welcher Hinsicht auch immer. Auch ein soziales Lernfeld, dem ich ein anderes, weniges panisches und weniger verbittertes Ende gewünscht hätte. Aber dieses Ende war nicht mehr als eben das Ende einer sehr fruchtbaren lebhaften und erfolgreichen Zeit.
courage frauenzeitung
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